Analyse: Smart Home, das Internet-of-things und die künstliche Intelligenz als Stadtwerke-Angebot? Teil 1
Kommentar eines Besuchers auf der e‑world 2018: “Ja, bin ich denn hier auf der CEBIT?”. Und in der Tat: Nie war auf der e‑world die Zahl der Anbieter von digitalen Dienstleistungen rund um die Energieversorgung, so groß, wie in diesem Jahr. Unter dem Etikett „Digitalisierung“ finden sich Web-Vertriebsmodelle für PV, Heizungsanlagen oder Mieterstrom, Strom-Communities, smarte Gebäudesteuerungen, intelligente Netze, E‑Mobilität und vieles mehr. Zum Teil richten sich diese Angebote an Branchenmitglieder, zum Teil an die privaten und gewerblichen Endkunden, beispielsweise als White-Label-Lösungen.
Bei allen Erwartungen der Branche an die digitale Energiewelt stellt sich die Frage, wie stark die Akzeptanz dieser Produkte bei den Endkunden ausgeprägt ist. Denn derartige Angebote stellen viele langjährig erlernte „Gewissheiten“ und Gewohnheiten von Stadtwerkekunden infrage. Und nicht immer setzen sich neue Produkte und Dienstleistungen bzw. neue Marktrollen, wie dem Stadtwerk als “Point-of-sale” für digitale Technologien rund um Energie, Heizen und Wohnen schnell bei den Zielgruppen durch.
Einen faden Vorgeschmack haben einige Versorgungsunternehmen durch den Einstieg in den Smart Home-/-Office/-Building-Markt erfahren. Als ein Angebot der Stadtwerke tut sich das Trendprodukt „Smart Home“ immer noch schwer. Dabei sind die bekannten „smarten“ Licht‑, Heizungs- oder Verdunkelungsteuerungen nur der Vorbote einer wesentlich weitergehenden Entwicklung, des „Internet-of-things“. Im Hinblick darauf werden beispielsweise immer mehr Haushaltsgeräte mit WLAN oder Bluetooth ausgestattet.
In einem dreiteiligen Blogbeitrag möchte ich der Frage nachgehen, wie sich die Kluft zwischen der Vielfalt an smarten Geräten und Systemen einerseits und deren mangelndem Erfolg als Stadtwerke-Angebot erklären lässt. Ausgangsüberlegung ist der Zusammenhang zwischen
- den (subjektiv wahrgenommenen) Produkteigenschaften,
- der Zielgruppe
- und der Rolle des Stadtwerks als Anbieter bzw. Point-of-sale.
Sie basieren auf einer Metaauswertung verschiedener Studien, sowie Interviews mit Marktteilnehmern und Erfahrungen aus der Beratungspraxis.
Vermarktungserfolg erklärt sich nicht nur über vordergründige Produkteigenschaften
Markenartikel- und Gebrauchsgüterindustrie wissen seit langem, dass ein vordergründiger, technischer Produktnutzen als Kaufargument häufig nicht ausreicht. Bei immer ähnlicheren Produkten ist das Erkennen und Adressieren der tieferen, psychologischen Nutzendimensionen und der sogenannten Verwendungsverfassungen erfolgskritisch. Aber nicht nur direkt ansprechbare (und oft wenig offensichtliche) Nutzen sind entscheidend, sondern auch das Wissen um ebenso verankerte Nutzungsbarrieren. Ein Beispiel: Bereits eine gattungs-untypische Verpackung kann Verbraucher vom Kauf abhalten. Stellen Sie sich einmal Marmelade im Tetrapack vor…
Gleiches gilt auch für den Point-of-sale. Sind ein Stadtwerk oder die Stadtwerke-Internetseite aus Sicht der Verbraucher die erste Wahl, wenn es um den Erwerb von Smart Home-Technikangeboten geht? Und sind eigentlich die begeisterten Verwender digitaler Technologien auch die Zielgruppe für das Smart Home?
Teil 1: Die beiden „Gesichter“ des digitalen Lifestyles
Im heutigen ersten Teil geht es um die Frage, wie Smart Home und die zugrunde liegenden Technologien von den Zielgruppen wahrgenommen und welche versteckten Nutzen aber auch Zugangsbarrieren dabei sichtbar werden. Vordergründig wird der Kauf von Geräten der Heimautomatisierung mit Bequemlichkeit, Sicherheit oder Energieersparnis begründet (und auch beworben). Das Smart Home oder ‑Building, das Internet-of-things und – zumindest perspektivisch – die künstliche Intelligenz, versprechen uns aber wesentlich mehr: Ein müheloses Leben, Wohnen und Arbeiten. Auf Fingerzeig oder – dank artificial intelligence bereits erahnt und proaktiv angeboten – erledigt die Technik eine Vielzahl von lästigen Haushaltstätigkeiten, spielt die passende Musik zu jeder Gelegenheit, kauft für den leeren Kühlschrank ein, regelt Heizungen, Rollläden, vertreibt Einbrecher und hat ein Auge auf unsere Oma.
Science Fiction und Magie
Das so geprägte Bild dieser Technologien ist der Traum aller Generationen, die schon als Kinder zu Star Trek-Fans wurden. Die Verwender erleben die vernetzten Technologien auf einer tieferen Wahrnehmungsebene wie eine Mixtur aus Science Fiction und Magie – sie gelangen in gewisser Weise damit in den Besitz des seit Kindertagen erträumten Zauberstabs. Noch niemals zuvor konnte gleichzeitig Spieltrieb und umfassende Kontrolle über die eigene Umgebung in einer Technologie so ausgelebt werden.
Getrübt wird diese Faszination von einem Unbehagen bezüglich der IT-Sicherheit. Wenn man Fachartikeln über schlecht programmierte Schnittstellen und nachlässig vergebene Passwörter Glauben schenkt, ist dieses Störgefühl nicht unberechtigt.
Oder stecken in Smart Home, Internet-of-things und künstlicher Intelligenz noch andere, weniger offensichtliche Nutzungsbarrieren?
Auch das Negativbild dieser Technologien finden wir in der Science Fiction. Denken wir nur an die zahlreichen Romane und Filme, in denen sich eine vernetzte bzw. Bewusstsein erlangende Technologie gegen die Menschen richtet – von HAL 9000 aus „2001: Odyssee im Weltraum“ bis zu Skynet in „Terminator“. Und übrigens nicht nur dort. Im tief verankerten kollektiven Bewusstseinsschatz der Märchen ist sie ebenfalls vorhanden. Die Sage von den wohlmeinenden Heinzelmännchen, die bei allzu großer Neugier („Ich gucke mal in die erweiterten Einstellungen…“), ihren Dienst beenden, gehört noch zu den harmloseren Analogien. Wer sich noch an seine Schulzeit erinnert, dem kommt vielleicht Goethes Zauberlehrling in den Sinn, in dem der verzweifelt ruft: „Stock, der du gewesen, steh doch wieder still!“. Aber da hatte die Küchenmaschine schon die Herdplatten ein‑, die Waschmaschine ausgeschaltet und den Kater mit dem Putzroboter überrollt. Vorsätzlich, versteht sich.
Sind solche Negativaspekte als Hürde in der Verbrauchervorstellung präsent? Psychologen sagen: Ja! Sie vermuten in diesen Vorstellungen und Ängsten den kulturellen Nährboden für die Furcht vor einer unkontrollierbaren Technik.
Und die zur Verfügung stehende Technik begünstigt diese Nutzerbefürchtungen durch eine Reihe von Eigenschaften:
- Die vermutliche Mehrheit der Nutzer versteht nicht, wie die Produkte funktionieren und hat noch keinen routinierten Umgang mit der Welt der vernetzten Dinge erlernt.
- Es funktioniert auch nicht immer so, wie man es erwartet. Bedienungsfehler, schlechte Useability oder schlicht technische Kinderkrankheiten führen zu Enttäuschungen und Misstrauen.
- Dazu trägt auch die aktuell noch mangelnde Standardisierung und Kompatibilität der Geräte bei, sowie die verwirrende Zahl an Anbietern und Systemen mit verschiedenen Übertragungstechniken.
- Darüber hinaus folgen manche Produkte einer eigenen technikzentrierten Logik und erledigen die Aufgaben nicht so, wie es ein Mensch tun würde – siehe beispielsweise die Fahrwege der Saugroboter.
- Wichtigster Angstauslöser ist aber die Selbsttätigkeit der Technik, die teilweise als ein unkontrollierbares, geisterhaftes Eigenleben wahrgenommen wird. Die Nutzer zweifeln, ob sie wirklich die volle Kontrolle haben. Es ist die Angst vor dem Ausgeliefertsein.
Mangelnde Cyber-Security sei hier nur am Rande erwähnt.
Am Ende steht dann bei den Interessenten eine stark emotional geprägt Abwägung zwischen Faszination und Furcht, die zwar einen jüngeren „digital native“ nicht beeindruckt, ältere Verbraucher aber möglicherweise vom Kauf abhält.
Lesen Sie deshalb demnächst den zweiten Teil des Beitrags. Dort geht es um die Frage, wie verschiedene Altersgruppen bzw. Generationen die digitalen Technologien in Haushalt, Büro und Gebäude sehen und bewerten.