Man braucht kein Silicon-Valley-Guru zu sein, um erfolgreich Innovation zu betreiben
Nahezu täglich liest man Aufrufe zu mehr Innovation und Kreativität in den Versorgungsunternehmen. Experten preisen agile Arbeitsmethoden an, und in jedem zweiten Absatz tauchen Begriffe wie »Digitalisierung« oder »Disruption« auf.
Leider führt dies häufig nicht zum erwünschten Aufbruch, sondern zu Widerstand. Jahre der stetigen regulatorischen Veränderungen haben die Lust am Neuen deutlich gedämpft.
Dazu kommt eine problematische Darstellung von Innovation und Kreativität als Fähigkeiten, die bevorzugt von multikulturellen Hipstern unter Dreißig mitgebracht werden. Oder eben von Silicon-Valley-Gurus. Daraus meinen viele zu lernen: Wer nicht Elon Musk heißt, braucht gar nicht erst anzutreten.
Selten nur Geistesblitze Einzelner
Doch diese Wahrnehmung von Innovation ist grundlegend falsch und wird in vielen Unternehmen täglich widerlegt. Richtig ist: Jeder kann innovativ sein — und Spaß dabei haben!
Innovationen sind in der Regel nicht die Geistesblitze einzelner Mitarbeiter, sondern das Ergebnis erprobter Innovationswerkzeuge. Ihre Entstehung verdanken diese einem intensiven Wettbewerb.
Dazu braucht man nicht auf die üblichen Innovationsverdächtigen in der IT-Branche zu schielen. Turbo-Innovatoren findet man beim Einkauf im Supermarkt, nämlich die Markenartikel. Täglich können sich Markenartikel-Käufer für oder gegen ein Produkt entscheiden. Das hat zu einem Innovationsdruck geführt, der seinesgleichen sucht. Im deutschen Lebensmitteleinzelhandel werden beispielsweise jährlich rund 10 000 neue Produkte und Produktvarianten eingeführt. Davon scheitern allerdings auch circa 85 Prozent im ersten Jahr.
Übertragbar?
Kann man deren Innovationsmethoden auf die Versorgungswirtschaft übertragen? Absolut! Markenartikel‑, Gebrauchsgüter‑, Dienstleistungsanbieter und viele mehr haben einen umfangreichen »Werkzeugkasten« entwickelt, mit dem Produkt- und Geschäftsfeldentwicklung aus dem Stand praktiziert werden kann. Wie alle gut sortierten Werkzeugkästen findet man auch hier Instrumente für unterschiedliche Anwendungen.
Allerdings bedarf die Reihenfolge ihrer Verwendung einer gewissen Systematik. Denn ohne Standort- und Zielbestimmung wird eine Geschäftsentwicklung viele unnötige sowie teure Schleifen durchlaufen.
Orientierungs-Werkzeuge
»Liebesbriefe«, aber auch »Wutbriefe« an Unternehmen oder Produkte sind ein Instrument der ethnographischen Marktforschung, also der Beobachtung von Verbraucherverhalten im Alltag. Vermutlich haben Sie solche Briefe bereits gelesen, nämlich als Beschwerden. Daraus kann man lernen und sein Angebot verbessern.
Ethnographie ist aber nur eines von vielen Instrumenten, um Zielgruppen zu verstehen. Und ohne dieses Verstehen beziehungsweise Empathie ist die Entwicklung eines problemlösenden Angebots nur schwer möglich.
Deshalb hat sich eine Vielzahl an Forschungsinstrumenten etabliert, von denen Sie einige selbst anwenden können, während andere den Einsatz von Experten erfordern.
Forschungswerkzeuge
Nutzerbefragungen / Nutzerbeobachtungen • Verwender-Tagebücher • Gruppendiskussionen • Personas und Empathy Maps • Netnographie: Auswertung von Beiträgen im Web • Morphologische Marktforschung oder Tiefeninterviews • Big-Data-Auswertungen
Die Angst vor dem leeren BLatt
Schon mal von TRIZ gehört? Nein? Dann sind Sie vermutlich kein Entwicklungsingenieur. In den Entwicklungsabteilungen großer Konzerne erfreut sich die »Theorie des erfinderischen Problemlösens« (TRIZ) großer Beliebtheit. Sie wurde von Saulowitsch Altschuller entwickelt. Stark verkürzt ist sie eine Anleitung, um eine begrenzte Zahl grundsätzlicher Problemlösungen auf wechselnde konkrete Probleme anzuwenden.
Eine kontrastierende und intuitivere Methode ist das aus dem Angelsächsischen stammende »Design Thinking«. Zu seinen Intensivnutzern gehören zum Beispiel SAP, aber auch viele Werbeagenturen. Beiden Methoden ist eines gemein, dass sie sich dem Problem der Lösungsentwicklung sehr umfassend nähern.
Erscheint Ihnen die Einarbeitung in solche Ansätze zu kompliziert oder langwierig? Dann nutzen Sie alternativ Kreativitätstechniken (siehe entsprechenden Kasten). Bei korrekter Anwendung wird Ihr Team mit viel Spaß Ergebnisse produzieren und Sie werden von ihnen überrascht sein.
Kreativitätstechniken
Brainstorming • Mind-Maps • progressive Abstraktion • Sechs-Hüte-Denken • Walt-Disney-Methode • Reizwortanalyse • 635-Methode • morphologischer Kasten
Werkzeuge, um Ideen zu prüfen
Nun reicht es nicht, Produkt- oder Dienstleistungsideen zu haben. Sie müssen auch von der Zielgruppe verstanden, akzeptiert und begehrt werden. Deshalb wird ein Test der Idee(n) in einem frühzeitigen Stadium empfohlen.
Warum? Ein früher Test vermindert das Risiko eines Flops ganz erheblich, und man lernt, die Idee zu verbessern. Allerdings stehen potenzielle Anwender abstrakten Ideen meist hilflos gegenüber. Sie benötigen etwas Konkreteres: Modelle aus Karton oder Knetgummi, Zeichnungen, Konzeptbeschreibungen oder Storyboards. Denken Sie beispielsweise an die Tonmodelle neuer Autos. Lange bevor irgendein Detail konstruiert ist, werden Verwender befragt, ob sie das Modell als einen neuen Audi oder VW erkennen, was ihnen daran gefällt oder was sie stört.
Von der Idee zum Geschäftsmodell
Kennen Sie das auch: Mit zunehmender Projektdauer entstehen bei Entwicklungsprojekten immer mehr Machbarkeitsstudien, Untersuchungen und Business-Pläne. Hier kann man sich mit der »Business Model Canvas« des Schweizers Alexander Osterwalder viele Zwischenschritte sparen. Bereits in einer frühen Phase erkennt man damit, ob eine Idee auch ein Geschäftsmodell ist. Die Business Model Canvas (Canvas = Leinwand) ist eine einzige Seite DIN A4. Sie wird wie eine Checkliste genutzt, hilft so, die Schlüsselfaktoren und den unternehmerischen Sinn einer Geschäftsidee zu erkennen.
Selber machen oder delegieren?
Im Hinblick auf begrenzte Ressourcen lässt sich die Entwicklung neuer Produkte oder Geschäftsfelder natürlich auch delegieren, beispielsweise mit Startups oder durch White Labels. Das hat aber einen Preis, nicht nur finanziell: Die eigene Innovationsfähigkeit wird nur begrenzt angekurbelt. Anders, wenn man selbst aktiv wird. Der Nebeneffekt des Werkzeugkastens ist nämlich, dass gleichzeitig Innovationskompetenz erworben wird und sich das Unternehmen ganz von selbst kulturell wandelt.
Dieser Blogbeitrag erschien am 6. August 2018 als Gastbeitrag in der »Zeitung für kommunale Wirtschaft« (zfk).