Die H‑Gas-Marktraumumstellung als Vertriebschance nutzen
Während die Energiewende große Teile des Medienechos unserer Branche ausmacht, vollzieht sich – fast nur der Fachöffentlichkeit bekannt – im Westen der Republik ein Umbruch: Aufgrund der zurückgefahrenen L‑Gas-Förderung in den Niederlanden müssen zwischen 2016 und 2030 viele Netze auf H‑Gas umgestellt werden. Doch was hat das mit Vertrieb und Marketing zu tun? Denn: Nach § 19 a EnWG ist die Marktraumumstellung eine Netzangelegenheit. Betroffen sind aber nicht nur die Netze selbst, sondern 4,3 Millionen Endkunden mit – nach Schätzung des DVGW – bis zu 5,5 Mio. Anlagen. Wie werden die Anlagenbesitzer den vermeintlich eher technischen Vorgang wahrnehmen und kommentieren?
These 1: Es gibt ein Verständigungsrisiko bei Begutachtung der Anlagen
Anlagenbetreiber müssen dem Netzbetrieb oder dessen Dienstleister Zugang zu allen Anlagen zwecks Sichtung und Einstufung gewähren. Solange ein Stadtwerke-Vertriebskunde betroffen ist – kaum ein Problem. Doch was ist mit Netzbetrieben, die im Sinne des Unbundlings abweichende Namen führen? Was ist mit Kunden, die von einem anderen Händler beliefert werden? Wahrgenommener Geschäftspartner ist hier der Erdgaslieferant und Mehrzahl der Kunden wird das Unbundling bislang kaum verstanden haben.
These 2: Es gibt ein Image-Risiko durch Anlagen, die nicht auf H‑Gas umgestellt werden können
Experten schätzen, dass bis zu 3% der betroffenen Anlagen nicht anpassungsfähig bzw. ‑würdig sind – also bis zu 165.000 Heizungen, Feuerung und andere Anlagen. Ergebnis ist, die Besitzer müssen diese auf eigene Kosten austauschen. Geschieht dies nicht, ist der Netzbetreiber verpflichtet, die Anlage still zu legen. An dieser Stelle tritt für den Heizungsbesitzer der „Heizungs-Gau“ ein.
Die möglichen Folgen:
- Einzelne Kunden könnten ungewollt verärgert werden…
…und lösen ein schlechtes Echo in der Lokalpresse oder den sozialen Medien aus. - Das Image der gesamten Erdgaswirtschaft wird beeinträchtigt.
Zwar verteilen sich diese Risiken auf 56 Umstellbereiche und die Jahre bis 2030 – ein vorausschauendes Abfedern erscheint für die betroffenen Unternehmen unbedingt sinnvoll. Und damit sind nicht nur die Netzbetriebe gefordert, sondern – unter Beachtung der Gleichbehandlung – sinnvollerweise auch die Vertriebe.
Denn in der Marktraumumstellung stecken auch Chancen für die Heizungsmodernisierung und damit den Klimaschutz. Chancen für ein Stadtwerk bzw. einen Erdgasvertrieb, parallel zur Marktraumumstellung, Kunden für eine Modernisierung zu gewinnen. Oder für neue Geschäftsmodelle, beispielsweise die neue Heizung im Rahmen eines Contractings. Chancen, um sich in einer für die Kunden schwierigen Situation als Partner zu bewähren und damit die Kundenbindung zu festigen.
Was können sich Stadtwerke oder Erdgasanbieter konkret tun?
- Eine Übergangslösung für von der Sperrung betroffene Haushalte anbieten.
- Falls nicht ohnehin vorhanden, ein eigenes Förderprogramms für Heizungsmodernisierung auflegen oder aktualisieren.
- Ein Kleinanlagen-Contracting anbieten, mit dem Haushalte eine modernisierte Heizung erhalten ohne dafür ihr Erspartes verwenden zu müssen. Und das bei gleichzeitiger Bindung der betroffenen Kunden durch den Contractingvertrag für 10 oder mehr Jahre!
- Rat durch das Förderdickicht anbieten.
- Notfall-Finanzierungen für sozial schwache Haushalte, eventuell zusammen mit Behörden, entwickeln.
So vorbereitet können aus den Anlagenbesitzern mit Anpassungsproblemen zufriedene Kunden und Multiplikatoren werden. Übrigens eine Möglichkeit, die allen in einem Verteilnetz operierenden Vertrieben offen steht. Netzbetreiber, in deren Verteilnetz der Stadtwerkevertrieb die Marktraumumstellung für Aktionen nutzen will, sollten daher auf die Gleichbehandlung aller Transportkunden achten. Materialien und Hilfestellungen zur Marktraumumstellung halten die Verbände BDEW und DVGW bereit.